Wenn der neue Chef die bisherige Chefin ablöst, dieser Prozess (die sog. Führungsnachfolge) gehört zu den wichtigsten Prozessen während eines Nachfolgeprozesses und sollte deutlich vor der Eigentumsnachfolge angepackt werden. Denn: Führungsnachfolge braucht Zeit. Und: wenn es bei der Führungsnachfolge holpert, könnte das Tagesgeschäft ins Stottern kommen. Das möchte kein KMU. Die St. Galler Nachfolge-Praxis stellt Werkzeuge und Ansätze vor, wie die Führungsnachfolge wirkungsvoll gestaltet werden kann.
Indem man das Eigentum überträgt, ist eine Unternehmensnachfolge im KMU-Kontext in der Regel nicht abgeschlossen. Für den Erfolg einer Unternehmensnachfolge ist vor allem eine gut gestaltete und gelungene Führungsnachfolge wichtig. Entscheidend ist dabei die Frage, welcher Sessel von wem neu besetzt werden soll, wie ein neuer Chef oder eine neue Chefin ihre Rolle versteht, diese ausüben möchte und wie die Übergabe all dieser Verantwortlichkeiten gestaltet werden soll.
Hat man diese Fragen beantwortet und gemeinsame Nenner gefunden, dann geht es ab ins gemeinsame Training, damit die guten Absichten auch im Alltag nachhaltig greifen. Tönt logisch, ist aber gar nicht immer so einfach — schauen wir mal genauer hin.
Intuitives Verständnis: Chance und Krux zugleich
In KMU entwickeln sich Strukturen, Verhaltensmuster und Entscheidungswege oft über die Zeit hinweg, sozusagen organisch, parallel zur Entwicklung der Firma. Strukturen sind historisch gewachsen und das funktioniert in der Regel auch ganz gut (oder man hinterfragt es nicht, weil es gelebte Realität ist), zumindest solange Schlüsselpersonen und involvierte Schlüsselpersonen die Gleichen bleiben. Oft ist es so, dass alle aus Erfahrung wissen, wie es läuft, wie jemand tickt oder wie entschieden wird, aber niemand hat sich je bewusst Gedanken dazu gemacht, wer was in welcher Rolle tut.
Dieses intuitive Verständnis kann bei einem Veränderungsprozess zur Herausforderung werden. Insbesondere bei der Führungsnachfolge — wenn sich plötzlich Rollen und Verantwortlichkeiten überschneiden und bei der übergebenden und übernehmenden Generation möglicherweise eine unterschiedliche Haltung da ist, wie diese Rollen ausgefüllt werden sollen.
Wenn es bei der Führungsnachfolge holpert, geht es fast immer darum, dass nicht recht klar ist, wer denn nun welche Rolle wie ausfüllen soll und darf und was das nun für den Entscheidungsprozess im Alltag bedeutet.
Frank Halter, Nachfolgeexperte St. Galler Nachfolge
Hier setzt das St. Galler Nachfolge-Modell an: die Basis für eine gut gestaltete Führungsnachfolge ist Klarheit und Bewusstsein für die verschiedenen Ebenen, auf denen man sich während einer Nachfolge bewegt und die unterschiedlichen Rollen, die es wahrzunehmen gilt. Was heisst das nun?
Klarheit und Bewusstsein als Schlüssel
In einem ersten Schritt unterscheidet das St. Galler Nachfolge-Modell zwischen Führungs‑, Eigentums- und Vermögensnachfolge (mehr dazu im Gespräch mit Frank Halter, Nachfolgeexperte St. Galler Nachfolge). Jede Ebene der Nachfolge sollte eigenständig beleuchtet werden, mit den Aspekten, die relevant sind und unter den gegebenen Rahmenbedingungen.
Im Kontext der Führungsnachfolge (und auch sonst) macht es zudem Sinn, sich bewusst zu sein, dass es verschiedene Führungsebenen gibt (Stichwort: Governance). Im KMU-Kontext unterscheiden wir drei Ebenen:
- die Ebene des Eigentums (wer besitzt z.B. die Aktien, wer besitzt die Firma)
- die Ebene der strategischen Verantwortung (wer entscheidet über die Strategie und die Zukunft der Firma)
- die Ebene der operativen Verantwortung (Tagesgeschäft, Kunden, Personal, Marketing, etc.)
Im Rahmen der Führungsnachfolge geht es darum, ein gemeinsames Bild der aktuellen Verantwortlichkeiten und der im Unternehmen tätigen Schlüsselpersonen zu erhalten.
Dieser Ist-Zustand dient als Ausgangslage, um sich Überlegungen zu machen zu Rollen und Aufgaben über die Zeit hinweg. Fragen können sein: Welche Schlüsselperson wird bis wann in dieser oder jener Funktion bleiben? Wessen Nachfolge muss geregelt werden? Durch wen? Erfüllt die vorgesehene Person schon die Anforderungen oder braucht es hier eine Aus- oder Weiterbildung? In welchem Zeitraum soll dieses Know-how erworben werden?
Governance- und Führungsrollen
Das Bewusstsein für die verschiedenen Führungsebenen und den damit verbundenen Governance- und Führungsrollen ist eine wichtige Voraussetzung, um die Führungsnachfolge aktiv und erfolgreich zu gestalten (mehr dazu auch im Gespräch mit Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge).
Das Bewusstsein, aus welcher Rolle heraus jemand agiert und kommuniziert (z.B. als Inhaber oder als Vater, als Mitglied der Geschäftsleitung oder als Tochter), kann entscheidend sein, wie die Interaktion verläuft, konstruktiv oder konfliktbehaftet.
In einem ersten Schritt braucht es das Bewusstsein für die Ebenen und Rollen. Und dann geht es ans Umlernen, Umdenken, Trainieren. Das braucht Zeit, Geduld und gegenseitige Toleranz.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Rollenklarheit ist damit ein erster Schritt im Prozess. In einem zweiten Schritt sollte man darüber nachdenken, welche Erwartungen und Bedürfnisse man selbst mit seiner momentanen Rolle verknüpft und inwiefern diese zu den Erwartungen und Bedürfnissen einer anderen Rolle in Beziehung stehen. Wem es hier gelingt, Klarheit zu schaffen (auch gegenseitig), der gerät in der Regel weniger oft in unbewusste innere Rollenkonflikte (hilfreich dazu: unser Arbeitsmittel zu Governance-Rollen und Führungsverhalten).
Wer weiss, wie er oder sie tickt, kann den Prozess der Führungsnachfolge bewusster gestalten (mehr dazu im Gespräch mit Lisa Benz, Expertin KMU Führung), persönliche Stärken gezielter einsetzen und — sofern das gewünscht ist — ein Führungsteam bilden, das die ganze Bandbreite an gewünschten und geforderten Kompetenzen abdeckt. Jede Person kann auf den verschiedenen Ebenen unterschiedliche Rollen einnehmen. Diese können je nach Situation auch wechseln, durchaus auch mehrmals am Tag.
Heute wird es zunehmend schwierig, dass sich alle Führungsaufgaben in einer Person vereinen. Das eröffnet neue Möglichkeiten und auch Chancen bei der Gestaltung der Führungsnachfolge.
Lisa Benz, Expertin KMU Führung
Wer die Führungsnachfolge mit der neuen Generation vielleicht neu gestalten und aufstellen möchte, für den könnte das Modell mit den verschiedenen Führungsrollen ein spannender Ansatz sein. Es unterscheidet in vier Hauptrollen: Leader (mit Fokus Sinn, Nutzen, Vision, Mission), Experte (Fokus: Fachwissen), Manager (Fokus: operatives Tagesgeschäft), Entwickler (Fokus: Weiterentwicklung von Mitarbeitenden). Mehr dazu können Sie in der Schrift zur KMU Führungsnachfolge nachlesen oder erfahren Sie im Gespräch mit Lisa Benz, Leiterin Bereich Weiterbildung am Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen.
In aller Kürze
Das oberste Ziel einer gelungenen Nachfolge in KMU muss sein, dass der «Unternehmens-Motor» während und nach dem Prozess der Nachfolge nicht ins Stocken gerät. Das Unternehmen sollte seine Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit jederzeit beibehalten.
Der Prozess der Führungsnachfolge ist anspruchsvoll und komplex. Insbesondere dann, wenn die übernehmende und die übergebende Generation noch eine gewisse Zeit gleichzeitig im Unternehmen tätig sind. Die höchste Komplexität haben in der Regel familieninterne Nachfolgen, weil sich dort noch die zwei Sozialsysteme “Familie” und “Unternehmen” vermischen.
Damit Führungsnachfolge möglichst gut gelingt, muss ein Bewusstsein geschaffen werden für die verschiedenen Führungsebenen, die es gibt sowie für die Führungs- und Governancerollen.
Das ist ein intensiver und zugleich spannender Prozess, für den genügend Zeit eingeplant werden sollte. Zu früh, so Frank Halter, kann man nicht damit beginnen, sich mit der Führungsnachfolge auseinanderzusetzen.
Für alle, die sich vertieft mit der Führungsnachfolge auseinandersetzen möchten, haben wir spannende Unterlagen aufbereitet und Videos produziert:
- Schrift «KMU Führungsnachfolge»
- Frank Halter im Gespräch: Herausforderung Führungsnachfolge
- Claudia Buchmann im Gespräch: Mit Governance die Führungsnachfolge stärken
- Lisa Benz im Gespräch: Mit Führungsrollen neue Perspektiven eröffnen
Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Governance” ergänzende Arbeitsblätter.
Fotonachweis: Shutterstock | Abbildungen: © St. Galler Nachfolge.
Literaturhinweis: Halter, Frank; Schröder, Ralf (2019): Das St.Galler Nachfolge-Modell. 4. und vollständig überarbeitete Auflage. Haupt Verlag. Bern.